Vom 26. – 27.07.2024 fand das 19. „Berliner Methodentreffen Qualitative Forschung“ (BMT) an der Freien Universität Berlin (FU) statt. In diesem Jahr konnten zwei unserer Kollegiat*innen am größten Fachtreffen im Bereich qualitativer Forschung im deutschsprachigen Raum teilnehmen.
Von Marie Neele Ansmann und Corinna Beckers
Sehr gespannt auf das abwechslungsreiche Programm, welches sich von Vorträgen über Postersessions bis hin zu Forschungswerkstätten erstreckte, fuhren Corinna und ich einen Tag vor Beginn der Veranstaltung gemeinsam von München nach Berlin. Wir hatten uns im Ruheabteil eingebucht, um ein letztes Mal das vorab erhaltene (Daten-)Material durchzugehen, welches uns von unseren Werkstattleitungen im Vorfeld zugesandt wurde, denn beim BMT steht Praxis im Vordergrund. Durch die hohe Qualität und Dichte der empfohlenen Fachartikel und Forschungsprojekte steigerte sich meine Vorfreude auf den folgenden Tag. Wenn der Workshop hieran anknüpft, dachte ich, dann kann ich ja nur viel für mein eigenes Dissertationsprojekt an praktischem Handwerkszeug mitnehmen. Denn das, was häufig zu kurz kommt, ist doch genau die praktische Anwendung der viel gelesenen Theorien und Methoden – wie würde mein verfolgter Forschungsstil nun in einer praktischen Forschungswerkstatt umgesetzt werden? Ich war gespannt.
Freitagvormittag machten wir uns auf den Weg zur FU, die in der von den Architekten Candilis, Josic und Woods entworfenen und ab Ende der 60er Jahre erbauten „Rostlaube“ das Methodentreffen beherbergte. Das „19. Berliner Methodentreffen Qualitative Forschung“ startete mit der Mittagsvorlesung von Prof. Dr. Paul Mecheril zu Rassismuskritischer Forschung. Begriffe, die uns hier zum Nachdenken über unsere eigenen Forschungsvorhaben, Vorgehen und Rolle als Forscherinnen anregten, waren „rassistische (Nicht-)Diskreditierbarkeit, „dehumanisierende Humandifferenzierung“ und „postkommunitäre Solidarität“, also Solidarität, die nicht partikular orientiert ist, sondern offen, die nicht exkludiert, sondern inklusiv wirkt. Rassismuskritische Forschung war, ist und bleibt ein aktuelles und wichtiges Thema, über welches es zu reflektieren gilt: Wie sind wir als Forscherinnen – und als Sozialarbeiterinnen – in rassistische Diskurse „verstrickt”, wo besteht im Kontext unserer Projekte Gefahr, solche Diskurse zu reproduzieren, und wie können wir Teil von Gegendiskursen sein und in und mit ihnen subversiv wirken? Im Anschluss konnten wir in der Mittagspause bereits erste Kontakte zu weiteren Teilnehmenden knüpfen und uns über unsere Projekte und den zuvor gehörten Vortrag austauschen.
Am frühen Nachmittag begann der erste Block der Forschungswerkstätten, um methodische bzw. methodologische Vorgehen oder auch Forschungsstile anhand von eingereichten Datenmaterial anzuwenden. Im Interesse unserer eigenen Promotionsprojekte entschieden wir uns für die Grounded-Theory-Methodologie (Neele) sowie die Qualitative Inhaltsanalyse (Corinna). Die Forschungswerkstätten des Berliner Methodentreffens zeichnen sich dadurch aus, dass es lediglich einen kurzen Theorieinput gibt und der Fokus auf die Einübung bzw. Vermittlung von Methoden bzw. vorgestelltem Programm oder Tool an praktischen Beispielen in der Gruppe gelegt wird. Hier besteht bei der Anmeldung die Möglichkeit, zu wählen, ob man sich für das aktive Einbringen eigenen Materials bewerben oder passiv, also ohne Einreichung eigenen Materials, teilnehmen und üben möchte. Wir beide konnten aus den besuchte Werkstätten viele Anregungen, wie z.B. regelmäßiges Besuchen von Kodiergruppen, praktische Tipps zur Entscheidungsfindung bei der Methodenwahl, zur Grounded-Theory-Methodologie oder den “Nuancen” der unterschiedlichen Formen der Qualitativen Inhaltsanalyse, für unsere Dissertationsprojekte mitnehmen und freuen uns auf die Umsetzung des Gelernten.
Im Anschluss hatten wir im Rahmen des Formats „Meet the Editor“ die Möglichkeit, Zeitschriften und Verlage, welche sich auf qualitative Forschung bzw. qualitative und quantitative Methodenfragen ausgerichtet haben, kennenzulernen und mit den Herausgebenden ins Gespräch zu kommen. Nach einem sehr lehrreichen Tag mit straffem Programm ging es für Corinna noch auf ein freiwilliges „Meet & Eat“ in einem nahegelegenen Biergarten, wo sie sich mit anderen Teilnehmenden bei einem gemütlichen Abendessen weiter austauschen konnte. Erschöpft fielen wir schließlich ins Bett, um am Samstag in aller Frühe erneut unseren Weg an die FU zum zweiten Workshoptag anzutreten.
Samstagmorgen besuchten wir das von Prof. Dr. habil. Günter Mey moderierte Symposium zu Künstlicher Intelligenz und qualitativer Forschung, bei welchem Dr. Kai Dröge, Prof. Dr. Michael Müller, Dr. Stefan Rädiker und Prof. Dr. Hella von Unger im Podium diskutierten und sich Fragen des Publikums stellten. Unser Fazit daraus: KI ist beides, Herausforderung und Chance für qualitativ Forschende. Einerseits besteht hier die Möglichkeit einer Arbeitsersparnis, andererseits zeichnen sich doch noch Schwierigkeiten hinsichtlich Kodierung oder Kategorienbildung ab. Zum Beispiel hinsichtlich eines der KI inhärenten weird-Bias (western, european, industrialized, rich, democratic), vor dessen Hintergrund sich Hoffnungen auf eine standortungebundene Analyse via KI als Utopie erweisen müssen. Im Anschluss an die Podiumsdiskussion fand einerseits die Postersession statt, bei welcher wir uns mit Präsentierenden über die vorgestellten Themen und Methoden austauschten. Andererseits hatten wir parallel die Möglichkeit, auf der Fachmesse zu Ressourcen und Angeboten in den Austausch mit Programmanbieter:innen sowie Verlagen und weiteren Anbietern zu gehen. So konnten wir unter anderem mit Thorsten Pehl über die Software audiotranskription.de sprechen. Besonders gut gefallen hat uns hier, Menschen wie ihn, deren Bücher wir lesen und deren Tools wir benutzen, ganz unkompliziert und auf Augenhöhe begegnen zu können.
Nach der Mittagspause mit leckerem Catering mit Fleisch, vegetarisch oder vegan begann der zweite Veranstaltungsblock der Workshops, wobei wir uns für denjenigen zu MAXQDA (Neele) und KI in der qualitativen Datenanlayse (Corinna) entschieden hatten. Den Abschluss der Veranstaltung bildete die Closing Lecture mit einer szenischen Lesung zur subjektiven Dimension von Forschung, welche der performativen Sozialwissenschaft eine Bühne im Methodentreffen bot. In Anlehnung an Auszüge aus der Dissertation von Katja Mruck wurden wir, abwechselnd live gelesen und als Videomitschnitt eingespielt, mit künstlerisch-ästhetischen Mitteln an die Notwendigkeit “erinnert”, uns als Forschende in unserer Eigenschaft als Deutende stets kenntlich zu machen und mit Impulsen, uns bei unseren Promotionsprojekten bei unserer eigenen Konstruktionsarbeit gleichsam selbst zu beobachten, in den Abend entlassen.
Unser Fazit: das „19. Berliner Methodentreffen Qualitative Forschung“ war sehr lehrreich, spannend und abwechslungsreich. Wir konnten viel Neues lernen und vor allem praktisch Üben, was uns viel Spaß bereitet hat. Wir können dieses Event also nur empfehlen!
Nach nun drei gemeinsamen Tagen in Berlin und vielen Eindrücken und neuen Ideen treten wir unsere Heimreise an – Zeit zum Reflektieren und Pläne schmieden, wie wir das Gelernte für unsere Projekte konkret einsetzen möchten.