Besonders in der Qualifizierungsphase haben viele Nachwuchswissenschaftler:innen mit Selbstzweifeln und Unsicherheiten zu kämpfen.
In der Reihe „Mut zum Ich: Wissenschaft zwischen Selbstvertrauen, Zweifel und Persönlichkeit” haben wir uns mit verschiedenen Herausforderungen auf dem Weg zur Promotion auseinandergesetzt. Sei gespannt auf die kommenden Beiträge!
Kennst du dieses Gefühl, dass du irgendwie an deinem Schreibtisch sitzt, auf deinen Bildschirm starrst und dir denkst:„Was mache ich hier eigentlich?“ – Ja, willkommen im Club; ich bin hier schon langjähriges Mitglied. Dieses permanente Gefühl, dass mir das Wissen oder die Fähigkeiten fehlen, die alle anderen zu haben scheinen, schleicht sich immer wieder ein. Und dann kommt dieser Gedanke: „Irgendwann merken sie es und dann bin ich raus.“
Der Ursprung des Zweifels
„Imposter Syndrome can be described as having a persistent feeling of lack of competence and intelligence which is compounded by the feeling that their achievements are unfounded and that they were just lucky.“[1]
Das Impostor-Phänomen (manchmal auch als Hochstapler-Syndrom bezeichnet) beschreibt ein psychologisches Phänomen, bei dem Menschen, trotz offensichtlicher Erfolge und Kompetenzen, das Gefühl haben, ihr Können sei nicht echt oder ausreichend genug, um ihren Platz oder Anerkennung verdient zu haben. Die betroffenen Menschen glauben oft, dass ihre Erfolge nur auf Glück, Zufall oder Täuschung zurückzuführen seien und fürchten, dass der vermeintliche Schwindel jederzeit aufgedeckt werden könnte. Das kann zu einem ständigen Gefühl von Unsicherheit und Selbstzweifeln führen, die auch dann bestehen bleiben, wenn objektiv betrachtet Erfolg und Anerkennung vorhanden sind.
Dieses Gefühl, dass alle anderen wissen, was sie tun, nur ich selbst nicht, und dass meine Erfolge (Ja, sogar mich selbst in einem Zug mit dem Wort „Erfolg“ zu nennen, fällt mir an dieser Stelle schon schwer) vielleicht auf Glück oder Zufall basieren, begleitet mich schon wirklich lang. Wenn ich zurückdenke, begann das schon recht früh: Als ich als Fünfjährige mit dem Leistungsschwimmen anfing, war der Druck, besser und schneller als alle anderen zu sein, von allen Seiten spürbar. Nach einem Wettkampf nur mit Silber oder Bronze Nachhause zu kommen, wurde für mich schnell zum Versagen auf ganzer Linie. Irgendwo hier hat der ständige Vergleich mit anderen und der Hang zum Perfektionismus sich in mein Leben geschlichen. Das Gefühl, sich ständig beweisen zu müssen, verstärkte sich und hing irgendwann wie ein unsichtbarer Schatten über allem, was ich tat.
Als ich mich nach dem Abitur für ein Studium entschied, als Erste und bis heute Einzige in meiner Familie, hatte ich das Gefühl, mich gegenüber meiner Familie beweisen und ihnen zeigen zu müssen, dass ich nicht nur im Sport perfekt, sondern auch im Studium toll performen könnte. Spätestens, als ich mich nach dem Bachelorabschluss und ein paar Jahren Praxiserfahrung zu einem Masterstudium entschied, kamen die Selbstzweifel mit voller Wucht zurück. Hatte meine Familie bis jetzt noch eine ungefähre Ahnung davon, was ich im Studium tat, fehlte spätestens ab hier das Verständnis dafür, dass ich weiter lernen, mich fortbilden und weiterentwickeln wollte. Ohne großen Rückhalt wagte ich mich damit in eine Welt, in der ich mich vor allem eins fühlte – allein, voll mit Ungewissheit und dem Gefühl, nicht gut genug zu sein.
Auch wenn ich während des Master-Studiums solide performte und nie schlechte, sondern eher oft sehr positive Rückmeldung erhielt, hatte ich immer das Gefühl, den anderen etwas vorzuspielen und definitiv nicht qualifiziert genug zu sein, um in der Welt der Akademiker*innen mitspielen zu dürfen. Ich schloss meinen Master sehr gut ab, bekam direkt danach eine Stelle als Dozentin an der Hochschule angeboten und entschied mich am Ende sogar, den Weg noch weiter in eine Promotion zu gehen.
Und genau da stehe ich jetzt: seit zwei Jahren promoviere ich nun in diesem interdisziplinären Kolleg, mit Menschen, die aus den unterschiedlichsten Fachrichtungen kommen, mit Fachwissen in ihren Disziplinen, auf dem sie ihre Doktorarbeiten aufbauen – genauso wie ich. Ich bin Teil dieses Kollegs, weil ich mich wie alle anderen hier beworben habe und angenommen wurde, weil jemand Potenzial in mir und meinem Thema gesehen hat. Und obwohl wir uns alle unter den gleichen Voraussetzungen beworben haben, denke ich oft, dass gerade ich es nicht verdient habe, hier zu sein, dass alle anderen besser und schlauer sind, in dem was sie tun und dass ich da nicht mithalten kann, weil ich nicht gut genug bin und irgendjemand schon ganz bald merken wird, dass ich meine vermeintliche Kompetenz nur vorspiele.
Die Gedanken des Hinterfragens der Qualität meiner Arbeit und ob ich überhaupt das Recht habe, da zu sein, wo ich gerade bin, sind meine ständigen Begleiter und manchmal lassen sie mich wirklich verzweifeln. Negatives Feedback zu bekommen, fällt mir leichter als positive Rückmeldung zu erhalten, weil ich mein Bild von mir dann verifizieren kann. Das Gefühl aufzugeben, bevor jemand mitbekommt, dass ich eigentlich nichts kann, schwebt auch immer wieder mit, genauso wie die Angst, dass ich es, selbst wenn ich meine Promotion abschließe, in Zukunft zu nichts bringen können werde.
Strategien gegen die innere Kritikerin
Natürlich gibt es Momente, in denen mein Selbstvertrauen einen Sprung nach vorn macht, in denen ich stolz auf das bin, was ich erreicht habe – und dann kommt dieser Gedanke wieder angeschlichen: „Ach, das war doch nur Glück…“– Also habe ich angefangen, mir kleine Dinge zu überlegen und bewusst dagegenzusteuern:
- Realität verifizieren: Ich bin Sozialpädagogin und promoviere in Soziologie – natürlich sind Menschen auf ihren Gebieten besser, denn sie haben Pflegewissenschaften, Literaturwissenschaften oder Philosophie studiert und ich habe mein Fach studiert. Der Vergleich hinkt schon mal. Jede Person besitzt verschiedene Kompetenzen und das sagt, in den allermeisten Fällen, nichts über meine Kompetenz aus.
- Erfolge festhalten: Was mir hilft, ist regelmäßig aufzuschreiben, was ich erreicht habe – auch die kleinen Dinge. So kann ich mich später daran erinnern und mir selbst beweisen, dass ich meinen Platz verdiene. Es ist ein Gefühl von „Proof of Work“, das ich immer wieder als Beweisstück aufrufen kann.
- Austausch mit anderen: Das funktioniert, dank der Struktur eines Promotionskollegs, ganz gut. Besonders mit Menschen, die ich als ähnlich kritisch wahrnehme, zeigt mir der Austausch oft, dass andere auch Zweifel haben. Es hilft, zu wissen, dass ich damit nicht allein bin und dass auch andere sich immer wieder hinterfragen.
- Grenzen und Prioritäten setzen: Manchmal ist das Gefühl der Überforderung auch ein Ergebnis von zu vielen Aufgaben oder Anforderungen, die auf einmal erledigt werden müssen. Hier hilft es mir, klare Prioritäten zu setzen und kleine Schritte zu gehen, anstatt sich vom Großen und Ganzen überrollen zu lassen. To Do Listen und Tabellen auf Flipcharts sind im Promotionsprozess auf jeden Fall gute Begleitungen geworden!
Der „Fake“ ist nur eine Geschichte
Vielleicht ist es am Ende einfach eine Frage des Perspektivwechsels: Das Gefühl, ein Impostor zu sein, ist nur eine Geschichte, die ich mir selbst schon ganz schön lang erzähle – basierend auf meinen eigenen Erfahrungen und Unsicherheiten. Tatsächlich bedeutet es doch aber eigentlich, dass ich mich in einem Bereich bewege, in dem ich wachse und dazulerne. Vielleicht ist der Gedanke „Ich habe keine Ahnung, was ich hier mache…“ also gar kein Defizit, sondern eher ein Zeichen, dass ich mich auf unsicherem, aber zukunftsträchtigem Terrain bewege.
Erlaubnis, unperfekt zu sein
Ich denke, was mir am meisten hilft, ist die Erlaubnis, nicht immer perfekt sein zu müssen. Unperfekte Menschen machen Fehler – und lernen daraus. Ich muss nicht ständig überperformen, um zu beweisen, dass ich hier richtig bin. Und sollte ich mich das nächste Mal dabei ertappen, mich selbst zu hinterfragen, dann nehme ich mir eine Minute, um durchzuatmen und mich daran zu erinnern, dass jeder Zweifel ein Zeichen für Entwicklung ist und nicht für Inkompetenz.
Ja, manchmal habe ich das Gefühl, keine Ahnung zu haben, was ich hier mache. Aber weißt du was? Vielleicht ist das genau der Punkt, an dem das Lernen beginnt.
[1] Young, Valerie (2011): The Secret Thoughts of Successful Women And Men: Why Capable People Suffer from Impostor Syndrome and How to Thrive In Spite of It. Crown Currency.