Wenn Du Dich immer schon einmal gefragt hast, wie das eigentlich so ist, als Doktorand*in mit einem Poster unter dem Arm in ein Flugzeug zu einer Konferenz an das andere Ende der Welt zu reisen – dann bist Du in diesem Beitrag richtig! Ich nehme Dich mit auf meine Reise und teile mit Dir Eindrücke und Erfahrungen meiner Konferenzteilnahme.
안녕하세요
(„annyeonghaseyo“ – “Hallo!”)
Schön, dass Du zu meinem persönlichen Erfahrungsbericht über die „Nineteenth International Conference on the Arts in Society“ an der Hanyang University Seoul in Südkorea gefunden hast. Nachdem ich mich dort einige Monate im Voraus mit einem Postervortrag auf den sogenannten „Call for papers“ beworben hatte, konnte ich Ende Mai meinen Rucksack für meine Konferenzteilnahme packen … denn ich war bereits kurze Zeit nach Bewerbungseingang angenommen worden.
Unter dem Motto “Art for Sustenance” lud das Arts in Society Research Network vom 23.05.–26.05.2024 Wissenschaftler*innen, Künstler*innen, Kurator*innen, Vermittler*innen, Community organizers und Aktivist*innen aus aller Welt zur “Nineteenth International Conference on the Arts in Society“ ein. Eine der Konferenzteilnehmer*innen war ich und bekam somit die Chance, mein Forschungsprojekt einem breiten internationalen Publikum vorzustellen, das in meinem Fachbereich sowie relevanten Schnittstellen forscht und arbeitet.
Das Arts in Society Research Network gründete sich im Jahr 2000, um ein internationales sowie interdisziplinäres Forum und Forschungsnetzwerk für Diskussionen, Austausch und Forschung über die Rolle der Künste in der Gesellschaft zu etablieren. Hier treffen sich seitdem kritisches Engagement, Ideen, Experimente und Forschung, die die Künste mit ihren jeweiligen Kontexten in der Welt und in unterschiedlichen Räumen verknüpfen. Ziel des Forschungsnetzwerkes ist es dabei, eine epistemische Gemeinschaft aufzubauen, in der über disziplinäre, geografische und kulturelle Grenzen hinweg Verbindungen hergestellt werden können. Das Jahreshighlight bildet dabei die jährliche Konferenz, welche dieses Jahr an der Hanyang University in Seoul unter dem Konferenzvorsitz der dort lehrenden Professorin Tammy Ko Robinson stattfand. Robinson ist eine in Seoul ansässige artist-researcherin und Pädagogin, deren Werke (Videos, Installationen, Schriften, Archive) vielfach ausgestellt wurden. Sie war u.a. Stipendiatin des Asia Culture Center – Gwangju und des Asia Art Archive.
Die diesjährige Konferenz befasste sich mit dem Thema „Art for Sustenance“ und fragte dabei, wie Künste Wege aufzeigen können, um über das bloße Überleben hinaus leben zu können. Themen der Gemeinschaft, Kollektivität, des sozialen Raums und Handelns, der Solidarität aber auch Nachhaltigkeit standen hier im Fokus. In vier thematisch geclusterten Untergruppen konnten so Austausch, Diskussion und Vernetzung über Forschungsprojekte, Beiträge zu Perspektiven lokal verankerter Projekte, inspirierende Netzwerke, Infrastrukturen und Initiativen stattfinden. In den vier Clustern Pedagogies of the Arts, Arts Histories and Theories, New Media, Technology, and the Arts und The Arts in Social, Political, and Community Life präsentierte ich mein Dissertationsprojekt in der Postersession inklusive Vortrag zur Bedeutung von Kunst in der Sozialen Arbeit mit Frauen* als Adressat*innengruppe im Rahmen des vierten Themenclusters.
Um meinen Beitrag am College of Education der Hanyang University halten zu können, musste ich jedoch erst einmal dorthin kommen. So trat ich am 21. Mai mit großem Rucksack und Posterrolle unter meinem Arm einen über 11 Stunden langen Über-Nacht-Flug nach Südkorea an – ein Land, in dem ich zuvor noch nie war. Mit notdürftigem Koreanisch und einem kleinen Reiseführer landete ich alleine am Flughafen Incheon westlich von Seoul. Mein Wissen über Südkorea speiste sich hauptsächlich aus Online- und Reiseführerrecherche, Tipps eines Freundes, welcher bereits mehrmals in Südkorea gewesen war und mir bekannten Kunstausstellungen bzw. kulturellen Happenings der K‑Wave, welche v.a. in Nordamerika derzeit in namhaften Museen vertreten sind.
Nach meiner Einreise stellten sich mir die Herausforderungen der e‑SIM-Aktivierung, des Kaufens eines U‑Bahntickets sowie des Geldabhebens, denn die Automaten akzeptierten meine Kreditkarte nicht. Nach guten vier weiteren Stunden am Flughafen und verzweifelten Versuchen, die Kreditkarte in Gang zu bekommen, fand ich endlich einen Geldautomaten, der funktionierte. Memo an mich: nie mehr mit nur einer Kreditkarte verreisen – bis jetzt hatte ich wohl Glück, dass es immer reibungslos geklappt hatte. Die Glückssträhne ging anschließend weiter, indem ich vornehmlich mit Zeichensprache ein Busticket mit Direktverbindung zu meiner Unterkunft kaufte und mir ein Backpacker seine wiederverwendbare U‑Bahnkarte schenkte, welche ich mit meinem frisch abgehobenen Geld direkt auflud. Tatsächlich fand ich meine Busstation anschließend relativ schnell, obwohl der Busterminal am Flughafen sehr groß ist. Ich hatte es irgendwann gegen Mittag, nachdem ich bereits um neun Uhr morgens herum gelandet war, in den Bus geschafft und trat meine ca. 1,5‑stündige Fahrt in die Innenstadt nach Seoul an – Jetlag und Müdigkeit machten sich deutlich bemerkbar. Der Bus fuhr bis fast vor die Haustür meiner Unterkunft, was mir anstrengendes Umsteigen ersparte.
Die Herausforderung bestand nun darin, die Unterkunft endgültig zu finden, denn ich hatte mich gegen das Konferenzhotel und für eine kleine Wohnung entschieden. Die deutlich günstigere Wohnung lag für mich näher zur Universität in einem Studierendenviertel – wie es sich während meines Aufenthalts herausstellte und als sehr schön erwies. So trug ich also mein Gepäck bei weit über 30 Grad und über 85% Luftfeuchtigkeit bis in meine Unterkunft und war sehr glücklich, die Anreise bewältigt zu haben. Google Maps funktioniert in Südkorea aufgrund des Konfliktes zwischen Nord- und Südkorea sowie Südkoreas Sicherheitsbedenken nämlich nicht richtig. Also nutzte ich das örtlich bevorzugte Naver Maps. Aber wie bei jeder neuen App, musste ich mich auch hier erst einmal einarbeiten und lernen, wie in Südkorea Adressen korrekt angegeben werden. Viel mehr als Einkaufen im nächstgelegenen Convenience Store und einem kleinen Rundgang durch mein Viertel schaffte ich an diesem Tag auch gar nicht mehr. Ich war viel zu erschöpft und ging früh ins Bett, um für den Pre-Conference-Day so fit wie möglich zu sein.
Pünktlich um kurz vor acht Uhr morgens machte ich mich mit der U‑Bahn auf den Weg zum Treffpunkt, bei welchem sich die Teilnehmenden bei einem durch den Konferenzvorsitz organisierten Kulturtag kennenlernen und vernetzen sowie einiges über die örtliche Kultur erfahren konnten. So besichtigten wir gemeinsam den Changdeokgung Palast mit Gartenanlage und aßen traditionell koreanisch zu Mittag. Das war wundervoll – allein hätte ich mich vermutlich nicht in das urige, sehr versteckte Lokal verlaufen. Im Anschluss blieb uns noch Zeit, den Nachmittag frei zu gestalten. Gemeinsam mit einer kleinen Gruppe entschied ich mich einigen Empfehlungen Tammy Ko Robinsons zu folgen und besuchte das nahegelegene National Museum of Modern and Contemporary Art Seoul. Nicht nur passend zum Konferenzthema, sondern auch mein Kunsthistorikerinnenherz erfreuend, zeigte sich das beeindruckende Museum – eine klare Empfehlung, v.a. auch wenn Du Dich für innovative Kunstvermittlung interessierst! Danach entschloss ich mich dazu, den nahegelegenen Gyeongbokgung Palast auf eigene Faust zu erkunden und einen Spaziergang in Richtung City Hall zu machen, die ebenfalls absolut sehenswert ist, allein aufgrund der vertikalen Wandbepflanzungen und des Robotercafés. Abschließend besuchte ich den Dongdaemun Design Plaza. Alle drei Stationen beeindruckten mich auf je unterschiedliche, besondere Weise. Seoul ist definitiv eine Stadt der Gegensätze, wie ich auch in den kommenden Tagen noch sehen würde.
Am darauffolgenden Tag begann endlich die Konferenz. Sehr gespannt fuhr ich morgens zur Konferenzeröffnung an die Hanyang University – nicht wissend, dass gleichzeitig ein großes Unifestival inklusive Konzerten stattfinden würde und es dementsprechend turbulent auf dem Campus zuging.
Den Eröffnungsvortrag „Art as Sustenance: A Case for Supporting Artists” hielt Solana Chehtman, Director of Artist Programs der Joan Mitchell Foundation, New York. Solana Chehtman engagiert sich als Kuratorin und Kulturschaffende für faire Karriereperspektiven sowie Plattformen für künstlerische Arbeit und auch für das nachhaltige Bestehen von Künstler*innen auf dem Kunstmarkt. Zu ihren Arbeitsschwerpunkten gehören ebenfalls Konzepte zur Öffentlichkeitsbeteiligung und deren Einfluss auf die Kunst. Vor diesem Hintergrund referierte sie über ihre Tätigkeit und erörterte, wie durch die Joan Mitchell Foundation ein Leben über das bloße Überleben hinaus für Künstler*innen ermöglicht wird. Den aufgezeichneten Vortrag findest Du hier.
Im Anschluss begannen die ersten Präsentationssessions, bei welchen ich stets versuchte, diejenigen zu besuchen, die sich am meisten mit meinem Promotionsthema überschnitten, um möglichst viel für mich mitnehmen zu können. Bei größeren Konferenzen ist es üblich, dass mehrere Sessions gleichzeitig stattfinden, d.h.: Du musst Dich entscheiden! So besuchte ich beispielsweise Vorträge über eine Untersuchung zu den Auswirkungen von Theaterkursen für Frauen mit Fluchthintergrund auf deren Wohlbefinden oder über die Rolle der Kunst für die Gesundheit. Unsere Mittagspause verbrachten wir in der Mensa inmitten von Studierenden. Ich hatte das Glück, von Tammy Ko Robinson einen Studenten mit sehr guten Englischkenntnissen “vermittelt” bekommen zu haben, der mir half, mein „nicht-westliches“ vegetarisches Mittagessen zu bestellen. Kein Witz: Die Counter waren tatsächlich in „nicht-westliches“ und „westliches“ Essen unterteilt, welches wir zuvor an einem Automaten auf Koreanisch hätten bestellen müssen. Ohne ihn wäre das wohl eher schwer für mich geworden. Kimchi gab es übrigens für alle kostenfrei an einer extra Station zum Essenstopping nach eigenem Gusto. Im zweiten Vortragsblock besuchte ich einen längeren Vortrag zu künstlerischem Schaffen als Untersuchung, bei welchem vorgestellt wurde, wie mittels interdisziplinären Fachwissens (Kunstwissenschaften und Soziale Arbeit) ein kunstbasiertes Programm für von HIV/AIDS betroffenen Jugendlichen in Vietnam entwickelt wurde. Im Nachgang fanden Kulturveranstaltungsoptionen statt.
Ich entschied mich gemeinsam mit vielen anderen dafür, eine Artist-Residency vom zuvor beschriebenen und besichtigten National Museum of Modern and Contemporary Art zu besuchen, denn diese hätte ich sonst wohl nie besucht. Sie lag relativ weit entfernt in einem Viertel, welches mir aus meinem Reiseführer nicht bekannt vorkam. In organisierten Bussen wurden wir in den Norden von Seoul gefahren und hatten anschließend dafür Zeit, bei den „Open Studios“ mit lokalen Künstler*innen und Artists in Residence ins Gespräch zu kommen, was unglaublich spannend war, da es hier auch viele Überschneidungen mit sozialen Räumen, Themen und Konzepten gab. Als ich abends in meiner Unterkunft ankam, war ich absolut erschöpft – aber auch unglaublich glücklich, so eine wertvolle Erfahrung machen zu dürfen.
Am zweiten Konferenztag ging es für mich wieder früh zur Hanyang University zum zweiten großen Auftaktvortrag, einer Plenary Session and Discussion mit Özge Ersoy & You Yedong über das „Asia Art Archive: Artists and Archives as Storytellers”. Die beiden Referentinnen beschrieben die archivarischen und kuratorischen Praktiken des Asia Art Archive, einer unabhängigen Non-Profit-Organisation in Hongkong, die im Jahr 2000 mit dem Ziel gegründet wurde, die diverse jüngere Geschichte der Kunst in der Region zu dokumentieren. Aufgabe der Organisation ist es, Instrumente und Gemeinschaften zu entwickeln, die das Wissen über Kunst durch Forschung, Ausstellungen, Aufenthalte und Bildungsprogramme kollektiv erweitern. Den aufgezeichneten Vortrag findest Du hier.
Im Anschluss fanden, ähnlich wie am ersten Tag, zwei Blöcke mit Vorträgen und Workshops statt, unterbrochen von einer Mittagspause mit vegetarischen Gimbap – einer Art koreanischer Sushirolle, die sehr empfehlenswert ist. Das Unifestival war weiterhin in vollem Gange und der Campus dementsprechend voll. Heute gab es sogar eine ganze Foodtruckstraße auf dem Campus. Ich entschied mich auch am zweiten Tag wieder für Vorträge mit größtmöglichen Überschneidungen zu meinem Forschungsbereich und konnte viele interessante Projekte an der Schnittstelle von Kunst und Sozialer Arbeit weltweit kennenlernen. So hörte ich z.B. einen Vortrag zu Kunst als Mittel zur Förderung von Heilung und Resilienz. Abends besuchte ich das jährliche Konferenzdinner, um mich mit Kolleg*innen in lockerer Atmosphäre weiterführend auszutauschen und Kontakte zu knüpfen, auch hier kamen wir wieder in den Genuss traditionell koreanischen Essens, welches zumeist aus vielen Tellern mit Tofu, Suppe und auch Banchan (einer Art kleiner, gemischter Gemüsebeilage) bestand, welche am Tisch geteilt werden.
Am dritten Konferenztag startete ich abermals früh zur Hanyang University, diesmal mit meinem Poster unter dem Arm – denn heute Vormittag würde meine Präsentation stattfinden. Tatsächlich war ich aufgeregt, obwohl ich mein Dissertationsprojekt rund ein halbes Jahr zuvor bereits auf einer anderen internationalen Konferenz – jedoch in Deutschland – vorgestellt hatte. Aber heute war es doch nochmal etwas anderes. Zu meiner Erleichterung klappte alles wunderbar und ich konnte mein Projekt vielen Konferenzteilnehmenden präsentieren und mit ihnen darüber ins Gespräch kommen. Ich habe viele gute Anregungen und Hinweise von Kolleg*innen erhalten. Sogar der Vorsitzende des Forschungsnetzwerkes – Daniel Tucker, Associate Professor der University of the Arts in Philadelphia, USA – hat sich viel Zeit für mein Projekt genommen, was mich außerordentlich gefreut hat. Nach meiner Präsentation war ich erst einmal sehr erschöpft, notierte mir aber alles, was in den Diskussionen an mich herangetragen wurde, um die Anregungen mit nach Hause an meinen Schreibtisch nehmen zu können. Jetzt überlege ich, wie ich am besten meinen Konferenzbericht abschließen kann – das ist gar nicht so leicht, da ich noch so viel mehr erzählen könnte, über das, was ich in Seoul erleben durfte. Vielleicht noch so viel:
Ich bin sehr dankbar, dass ich die Chance hatte, während meiner Promotion solch eine besondere Erfahrung machen zu dürfen, welche nicht zuletzt durch die Unterstützung der Hanns-Seidel-Stiftung möglich wurde. Ich habe eine sehr schöne, aufregende und lehrreiche Zeit in Seoul verbracht, viele neue tolle Menschen und Projekte kennengelernt und sehr hilfreiche Hinweise für mein Forschungsprojekt erhalten. Das alles wird mich sowohl in meiner Forschung, als auch persönlich weiterbringen. Seoul ist eine Stadt der Gegensätze, laut und leise, bunt aber auch grau, modern und traditionell, zugewandt aber auch verschlossen. Ich hatte die Chance die Stadt und ihre Menschen kennenlernen zu können, dadurch dass uns Locals unter ihre Fittiche nahmen und zeigten, was in dieser großen Stadt passiert, wie es sich lebt, was die Kultur bedeutet und was das Land in der Forschung und Kunst zu bieten hat. Ich kann Dir die Stadt und Teilnahme an internationalen und auch interdisziplinären Konferenzen nur empfehlen – es erweitert den eigenen Horizont und ist eine Erfahrung fürs Leben! Bewirb Dich und schau was passiert.
감사합니다, 곧 뵙겠습니다
(„gamsahabnida, god boebgessseubnida“ – “Vielen Dank, bis bald”)