Von Isabel Blümel
Ende Juni ging es für einen Teil der Promotionsstipendiaten*innen der Hanns-Seidel-Stiftung in Tschechiens Hauptstadt Prag. Darunter waren auch drei Kollegiaten*innen unseres Kollegs.
Unter dem Thema „Bayerns wichtiger Nachbar im Osten: Politik, Geschichte, Wirtschaft und Kultur in Tschechien“ fand dort eine viertägige Promotionsfachtagung statt, die zu zahlreichen Eindrücken und Erkenntnissen führte.
Dem Veranstaltungsplan des Tagungsleiters Dr. Andreas Burtscheidt gemäß bildete eine kulturhistorische Stadtführung durch das Prager Burgviertel den Auftakt. Die Prager Burg ist Symbol der böhmischen Länder, langjähriger Herrschersitz und eine der größten mittelalterlichen Burgen der Welt. Wir besichtigten den Alten Königspalast mitsamt jenem verhängnisvollen Fenster, von dem aus 1618 der Zweite Prager Fenstersturz geschah, welcher zum Dreißigjährigen Krieg führte, einem der schrecklichsten und längsten Kriege Europas.
Über die Karlsbrücke hinweg und unter dem Altstädter Brückenturm hindurch machten wir uns auf den Weg zum Klementinum. Das frühere Jesuitenkolleg und heutige nationale Kulturdenkmal ist Sitz der Tschechischen Nationalbibliothek und beherbergt das Astronomische Institut der Akademie der Wissenschaften. Es gilt außerdem als Juwel der Barockarchitektur. Ein Rundgang durch das Klementinum führte uns zunächst zum barocken Bibliotheksaal. Mit einem Blick in die Bibliothek hat man das Gefühl, in eine andere Zeit einzutauchen. Neben den prächtigen architektonischen Elementen beeindruckt die Bibliothek auch durch ihren außergewöhnlichen literarischen Wert. In den zahlreichen aufwendigen Holzregalen unterhalb der Deckenfresken befindet sich eine Sammlung von etwa 20.000 Bänden, darunter wertvolle historische Manuskripte und Bücher, seltene Texte und detaillierte Karten.
Von der Barockbibliothek ging es weiter in den 68 Meter hohen Astronomischen Turm. Dieser wurde von 1751 bis 1938 für astronomische Beobachtungen genutzt. Vorbei am Meridian-Saal, in dem sich damals die Zeit mithilfe eines Sonnenstrahls und einer Saite, die über den Boden gespannt war, der genaue Zeitpunkt – zwölf Uhr mittags – bestimmen ließ. Dabei wurde dann der Prager Bevölkerung die Mittagszeit vom Turm aus mit einer Fahne verkündet. Erst ab 1925 übernahm diese Aufgabe das Radio.
Aus dem Meridian-Saal führten uns die letzten Treppen – insgesamt fast 170 Stufen – hoch in die oberste Etage des Turms. Eine schmale Dachterrasse um die Turmspitze bot einen spektakulären Ausblick auf das historische Viertel von Prag.
Nach einem atemberaubenden Blick über die Denkmäler und Dächer des Prager Stadtzentrums und kurzem Verweilen begaben wir uns zum Palais Wallenstein unterhalb der Prager Burg. Im Palais, dem Sitz des Senats des Parlaments der Tschechischen Republik, wurden wir mit dessen Zusammensetzung und Aufgaben vertraut gemacht. Das Parlament der Tschechischen Republik setzt sich aus zwei Kammern, dem Abgeordnetenhaus und dem Senat zusammen. Die Rolle des Senats ist hauptsächlich beratend und besteht aus 81 Senatoren, die jeweils für sechs Jahre gewählt werden. Seine Hauptaufgaben umfassen die Überprüfung von Gesetzesvorschlägen, die Vertretung der Regionen und die Kontrolle der Regierungstätigkeit. Obwohl der Senat weniger Einfluss hat als das Abgeordnetenhaus, spielt er dennoch eine wichtige Rolle im politischen System der Tschechischen Republik.
So können Verfassungsänderungen nur mit seiner Zustimmung erfolgen. Auch die Ratifizierung völkerrechtlicher Verträge und die Teilnahme tschechischer Truppen an Auslandseinsätzen bedürfen seiner Zustimmung. Außerdem kann der Senat Gesetzesinitiativen starten und entscheidet über die Ernennung der Verfassungsrichter und die Besetzung anderer wichtiger öffentlicher Ämter.
Im Anschluss an die Besichtigung des Senats hatten wir die Gelegenheit, den beeindruckenden Komplex des Palais Wallenstein zu erkunden. Eines der Highlights war der großzügig und prachtvolle Wallenstein-Garten mit einer Tropfsteinwand, der Grotte sowie einem wunderschönen Teich. Nicht zu vergessen ein blauer und ein weißer Pfau, die spielerisch an uns vorbei spazierten. Der Garten zählt zu den schönsten Parkanlagen in Prag. Abgesehen von der vielfältigen Flora und Fauna erfreut sich dieser Garten auch als Kunst- und Kulturzentrum großer Beliebtheit. Während der Sommersaison haben Besucher*innen hier die Möglichkeit, Live-Konzerte und Aufführungen zu erleben. Wir konnten einer kleinen Aufwärmprobe während unserer Führung durch den Park im Hintergrund lauschen.
Im Anschluss setzten wir den Stadtrundgang durch die Kleinseite und die Prager Alt- bzw. Neustadt fort. Sie endete vor dem Prager Regionalbüro der Hanns-Seidel-Stiftung. Hier empfing uns dessen Leiter Dr. Markus Ehm, der uns einen Einblick in die zahlreichen Betätigungsfelder seines Büros gewährte, darunter die Koordination eines Expertenaustausches zwischen deutschen und tschechischen Sicherheitsbehörden. Er schaffte uns damit einen guten Übergang vom historischen und kulturellen Aspekt der Tagung hin zu ihrer politischen Dimension.
Somit war der Austausch zwischen Deutschland und Tschechien auch das bestimmende Thema bei dem Besuch der Deutschen Botschaft im Palais Lobkowicz. Die wichtige Rolle des Freistaat Bayerns, als unmittelbarer Nachbar zu Tschechien, bei der zwischenstaatlichen Verständigung verdeutlichte die blau-weiße Rautenflagge an der Hausfassade des Palais Chotek. Sie kennzeichnet den Sitz der Repräsentanz des Freistaats Bayern mitten im Zentrum der Prager Altstadt.
Hier wurden wir von Martin Kastler, Leiter der Repräsentanz, herzlich empfangen. Er beleuchtete eingangs aktuelle Aspekte der bayerisch-tschechischen Beziehungen, darunter Fragen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit sowie gemeinsame Infrastruktur- und Bildungsprojekte und beantwortete im Anschluss Fragen der Teilnehmer*innen.
Von der Repräsentanz des Freistaates Bayern führte ein gemeinsamer Spaziergang zum nahegelegenen Gemeindehaus. Dort wurden die Teilnehmer*innen durch die historischen Gebäude des Gemeindehauses geführt. Neben dem Konzertsaal sind dies eine Reihe von Veranstaltungsräumen, die für festliche Anlässen an Privatpersonen vermietet werden. Die Räume beeindrucken durch ihre stilistische Vielfalt, mit der die böhmischen Architekten, Handwerker und Künstler ihre besonderen Fähigkeiten unter Beweis stellen wollten. Von der besonderen Qualität der Arbeiten zeugt die Tatsache, dass sich die Einrichtung und die technischen Anlagen noch weitgehend im Originalzustand befinden.
Zum Abschluss der Tagung trafen die Promotionsstipendiaten*innen wiederum im Büro der Hanns-Seidel-Stiftung die Bürgermeisterin des Stadtteils Prag 1 Terezie Radoměšská zum Gespräch. Dabei wurde sowohl der Umgang mit Wohnungsnot und Suchtprävention als auch die Haltung Tschechiens zum russischen Überfall auf die Ukraine thematisiert. In Prag gibt es eine ernsthafte Wohnungsnot, die das Leben vieler Menschen beeinflusst. Obdachlosigkeit ist ein wachsendes Problem, das durch verschiedene Faktoren wie Arbeitsplatzverlust, Trennungen und Abhängigkeiten verursacht wird. Die Politik hat zwar einige Schritte unternommen, darunter auch Maßnahmen des Prager Stadtrats. Dennoch hat sich die Wohnkrise in den letzten Jahren deutlich verschärft. Die Situation hat sich insbesondere während der Energiekrise deutlich verschlechtert. Das Prager Sozialdienst-Zentrum bietet obdachlosen Menschen vielfältige Hilfsmöglichkeiten wie Unterbringungen auf Zeit, humanitäre Hilfsangebote oder auch die Versorgung mit Kleidung, Lebensmitteln und Hygieneartikeln.
Mit zahlreichen wertvollen und sehr unterschiedlichen Eindrücken und Erkenntnissen ging die Tagung in der hunderttürmigen Stadt Prag zu Ende. Dabei waren neben den historischen und kulturellen Aspekt vor allem die politische Dimension, der Austausch mit Expert*innen, deren Erfahrungen in Prag aber auch eine offene Berichterstattung von aktuellen Problemen der Menschen und wie man versucht diese zu lösen, für mich von besonderer Bedeutung.
Diese Einblicke regen zum Nachdenken an und zeigen teilweise auch Parallelen zu Bayern und Deutschland auf. Sei es in der Wohnungsknappheit, den steigenden Kosten für Wohnraum, fehlende Investitionen von Unternehmen und dem Fachkräftemangel.
Um es zusammenzufassen, Prag ist unter vielen Aspekten definitiv eine Reise wert.
Wie bereits Franz Kafka, der nahezu sein ganzes Leben in ‚Praha‘ verbrachte, empfunden hat: „Prag ist die Mutter der Städte, die ihre Krallen tief einschlägt und Sie nie mehr loslassen wird.“ So hinterlässt auch für uns Prag in nur wenigen Tagen tiefgreifende Eindrücke und viele nachhallende Gedanken.